Johann Friedrich Stark – Bitte um Nächstenliebe

Ach du liebreicher Gott! der du uns herzlich liebst, aber uns auch anbefohlen hast, daß wir unsern Nächsten mit gleicher Liebe umfassen sollen, wie du uns liebst. Ach! ich klage dir, wie mein Herz zu solcher aufrichtigen und wahren Liebe gegen meinen Nächsten sich noch nicht recht hat wollen bringen lassen. Ich sollte meinen Nächsten nach deinem Gebot lieben als mich selbst, ich sollte, wenn du ihm Glück, Gesundheit, Wohlergehen giebest, mich freuen, als ob es mir selbst widerfahren wäre. Ich sollte meinen Feind, der mich hasset, schmähet, verfolget, drücket, herzlich lieben, ihm Gutes wünschen, ja ihm viel Segen, Gedeihen und Glückseligkeit an Leib und Seele von dir erbitten. Aber du allwissender Gott! siehest und weißest, wie mein Herz von diesen Pflichten entfernt ist, wie leider! wenn du meinem Nächsten wohl thust, ihm Glück, Ehre und Wohlthaten darreichst, mir aber nicht, daß ich darüber scheel sehe, daß du so gütig gegen ihn bist. Du siehest, o allwissender Gott! wie das Bitten für meine Feinde so träge und gering ist. Ach, mein Gott und Vater! ich erkenne daraus das Elend und Verderben, darin ich noch stecke, und wie ich noch nicht in solchem Stande der wahren Jünger und Jüngerinnen Jesu bin, wie ich billig seyn sollte, welche man daran erkennen wird, daß sie Liebe unter einander haben, nicht allein gegen gute Freunde und Wohlthäter, sondern auch gegen Neider, gegen Feinde und Verfolger. Darum bitte ich dich, ach ändre doch mein rachgieriges und deinem heiligen Willen widerspenstiges Herz, daß ich durch deine Gnade meinen Nächsten herzlich und aufrichtig lieben möge, als mich selbst. Verleihe mir Kraft und Stärke, daß mich meinem Nächsten gerne und mit Freuden das gönne, was du ihm giebst, und nicht deßwegen betrübt drein sehe, wenn du mich nicht mit gleicher Wohlthat erfreuest. Behüte mich vor aller Falschheit gegen ihn, daß ich mich nicht etwa freundlich stelle mit Worten, wie Judas ihn küsse, und doch verrathe, sondern daß ich es aufrichtig mit ihm meine. Und so ich ja muß der Feinde Verfolgung, Schmähung und Unrecht erfahren, so gieb mir Kraft, daß ich es mit Sanftmuth überwinde, nichts Böses mit Bösem, oder Scheltwort mit Scheltwort vergelte, sondern dagegen ihnen Segen und alles Gute anwünsche. Herr mein Gott! du siehest, wie dem Fleisch und Blut diese Pflicht so schwer ankommt, aber durch deine Gnade und Beistand wird es mir möglich werden. Laß mich an andern üben, was du an mir gethan, und meinen Nächsten lieben, gern dienen Jedermann, ohn Eigennutz und Heuchelschein, und wie du mirs erwiesen, aus reiner Lieb allein, Amen.