Anselm von Canterbury – Kreuzigung

Siehe an, lieber Vater, wie Dein theurer Sohn am Kreuze hängt, das Haupt niedergesenkt zum Tode. Bleich ist die nackte Brust, roth von Blut die Seite, ausgespannt und verdorrt der Leib, erloschen sind die himmlischen Augen, Blässe deckt das königliche Antlitz, erstarrt sind die erhabenen Arme, marmorgleich hängen die Schenkel herab, ein Strom heiligen Blutes rinnt aus den durchstochenen Füßen, die nicht auf den Weg der Sünder traten, sondern allezeit wandelten in Deinem Gesetze. Schaue nun an, o Vater der Herrlichkeit, das Leiden des Gottmenschen und lindere das Elend der geschaffenen Menschheit; schaue an die Strafen des Erlösers und vergieb die Schuld den Erlösten.

Anselm von Canterbury – Jesu Tod

Was hast Du verbrochen, theuerster Gottessohn, daß Du also gerichtet wardst? Was war die Ursache Deines Todes, was der Grund Deiner Verdammung? Ich, ich bin die Geißel Deines Schmerzes, ich habe Dich ans Kreuz gebracht mit allen seinen Qualen. O über den wunderbaren Rechtsspruch und geheimnißvollen Rathschluß! Es sündigt der Gottlose, und bestraft wird der Gerechte; was der Böse verdient, leidet der Gute; was der Knecht verschuldet, bezahlt der Herr; was der Mensch begeht, nimmt Gott auf sich. Wie tief, o Gottessohn, hat sich Deine Demuth herabgelassen! Wie herrliche Gnade, wie hohe Güte, wie innige Liebe, wie großes Mitleid hast Du gezeigt! Ich thue Uebels, Du trägst die Strafe; ich bin stolz, Du erniedrigest Dich; ich bin unmäßig, Du leidest Hunger; ich suche nach Vergnügen, Du läßt Dich mit Nägeln durchbohren; ich koste die Süßigkeit des Apfels, Du die Bitterkeit der Galle. Mit mir lacht und freuet sich Eva; mit Dir weint und leidet Maria.

Bernhard von Clairvaux – Kreuzigung

Wie schrecklich handelt mit Dir, o Herr, das böse und verkehrte Geschlecht! Und was thust Du, Da Deine Hände ausgespannt sind am Kreuze, da das Morgenopfer schon zum Abendopfer wird, rufest Du aus: Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! O wie bereit bist Du zum Vergeben! wie groß ist Deine Liebe, wie weit sind Deine Gedanken über unsere Gedanken, wie unwandelbar ist Dein Erbarmen selbst über die Gottlosen! Wunderbar Er ruft: Vergieb! die Juden: Kreuzige! O ihr Juden, rohe Steine seid ihr, aber ihr schlagt auf einen zarten Stein, aus dem Gnade erklingt und Oel der Liebe fließt. Mit welchem Strome der Lust wirst Du, o Herr, erst die tränken, die nach Dir sich sehnen, wenn Du schon die, welche Dich kreuzigen, mit dem Oele Deines Erbarmens überschüttest!