Georg Friedrich Blaul – Das Gebet des Herrn

Allmächtiger, gütiger Gott, du liebreicher himmlischer Vater, der du nicht ferne bist von einem jeglichen unter uns, und verheißen hast, denen besonders nahe zu sein, die dich suchen, siehe, ich suche dich, lass dich finden; ich will zu dir beten, höre mich; lass dir das Opfer meines Herzens wohlgefallen, und neige dein Ohr zu meinem Gebet und Flehen. Dein Sohn aber, mein Herr und Meister Jesus Christus, sei mein Lehrer im Gebete, wie in allen Dingen, und nach seinem Willen und Beispiel rufe ich dich an:

Unser Vater der du bist in dem Himmel!

O wie tröstlich ist es mir, dass ich dich Vater nennen darf, dass ich weiß, du nimmst dich meiner liebreich an. Ach! ich bin zwar ein Gast und Fremdling auf Erden, aber ich bin nicht von dir hinausgestoßen aus dem Vaterhause, sondern dein väterliches Auge, das vom Himmel herab auf alle siehet, die auf Erden wohnen, wachet auch über mir, und wo ich auch sei, wird deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Und ob du gleich so hoch erhaben bist im Himmel, und in einem Lichte wohnest, da niemand zukommen kann, und ob ich gleich, meines Ungehorsames und meiner vielen Übertretungen wegen, nicht werth bin dein Kind zu heißen: so wirst du mich doch aus der Fremde in die himmlische Heimath, aus dem Diensthause in das Vaterhaus führen, wirst mich mit deinem Sohne Jesu Christo der vollen Kindschaft deines seligen Reiches theilhaftig machen. Du lieber, treuer Vater im Himmel, wie dank‘ ich dir, dass du mich mit allen Menschen zu deinem Kinde angenommen, dass ich in Freud‘ und Leid einen Zugang zu dir habe, und im Leben wie im Sterben an deinem treuen Vaterherzen Trost und Hoffnung finde. Ewig sei dafür gepriesen, und

geheiliget werde dein Name!

Ja, der Erdkreis falle nieder vor dir, und bete dich an, wie ich dich anbete, als den Seligen, den allein Gewaltigen, als den König der Könige und den Herrn aller Herren. Alle Welt lobe und verherrliche deinen großen Namen durch Gehorsam und Demuth vor dir, niemand suche seine, sondern jeder deine Ehre, und alle Welt rufe aus Herzensgrunde: Gott allein die Ehre! – Mich, o Herr, und alle Brüder heilige so in deiner Wahrheit, daß keiner deinen Namen freventlich missbrauche durch Fluch oder Schwur; und schaffe, dass wir alle nach Heiligung streben, wie du heilig bist, damit endlich

dein Reich komme.

Ja, Herr, dein Reich, das du durch Jesum Christum gestiftet, lass in hohem Glanze anbrechen. Es ist das Reich des Lichtes, es komme, um die Finsterniss in und außer uns zu besiegen. Es ist das Reich des Friedens, es komme, um die Zwietracht auf Erden und die bösen Kämpfe aus unserm Innern zu vertreiben. Es ist das Reich der Liebe, es komme, um alle Herzen für dich und die Brüder zu entzünden. Es ist das Reich der Wahrheit, es komme, um allen Schein, allen Irrthum und alle Lüge zu verbannen. Es ist das Reich der Gnade, es komme, um alle Schuld und Sünde gänzlich wegzutilgen. Es ist das Reich des Lebens, es komme, um dem Tode vollends die Macht zu nehmen, Christi Leben in alle Herzen zu gießen, und sie für das ewige Leben zu gewinnen. Ach Herr! wenn je dein Reich auf Erden sich in solcher Herrlichkeit entfalten kann, o so lass uns nicht länger seiner harren, lass es anbrechen, damit auch die andere Bitte in Erfüllung gehe:

Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!

Ja, Vater, dein und nur dein Wille ist recht und gut. Darum gib deinen Geist in uns, mache solche Leute aus uns, die in deinen Geboten wandeln, deine Rechte halten, und darnach thun, damit wir, wie alle Engel und Seligen, keinen andern Wunsch haben, als deinen Willen zu thun, keine That begehen, als die dir wohlgefällig ist, und damit das Himmelreich schon auf Erden seinen Anfang nehme. – Doch was du auch beschlossen hast, Herr, dein, nicht unser Wille geschehe! Führe uns, wie du willst, auf rauhen oder ebenen Pfaden, du bist unser Vater, du liebst uns, und alle deine Wege werden einst in Seligkeit enden. Auch

unser tägliches Brod gib uns heute,

o Vater! Du bist ja der Ernährer und Versorger aller deiner Geschöpfe, darum lass uns nicht darben, sondern segne die Arbeit unserer Hände, und gib Gedeihen allem, was wir zu unserer Nahrung und Nothdurft brauchen. Nicht um Ueberfluss bitten wir dich, sondern nur dass du Mangel von uns fern haltest, und wir nicht täglich mit Sorge fragen müssen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? O Gott! unser Vertrauen zu dir ist ohne Gränzen, du hast uns bisher geholfen, du wirst uns auch ferner nicht verlassen, noch versäumen.

So unentbehrlich uns aber das tägliche Brod zum zeitlichen Leben ist, so sehr bedürfen wir deiner Vergebung zum ewigen Leben; darum bitten wir dich:

Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unsern Schuldigern.

Voll Mängel und Fehler sind wir alle, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Aber deine Barmherzigkeit ist größer, denn aller Welt Sünde, und in Jesu Christo hast du bewiesen, dass du nicht Wohlgefallen hast an dem Tode des Sünders. In seinem Namen bitten wir dich: Lass Gnade für Recht ergehen, tilge unsre Sünden, und erlass uns gnädig die verdiente Strafe. Da du uns aber mit dem Maaße messen wirst, mit welchem wir messen, so mache unsere Herzen mild und versöhnlich, damit wir an unsern Nebenmenschen thun, was wir von dir verlangen, und das Wort Christi erfüllt werde: Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist, vergebet, so wird euch vergeben.

Und wenn wir dann frei geworden sind von Schuld, so

führe uns nicht in Versuchung.

Wir wissen zwar, dass du kein Versucher zum Bösen bist, sondern dass wir durch unsre eigene Lust gereizt und gelockt werden, aber wir wissen auch, dass die Reizungen zur Sünde in uns und außer uns unzählig, und unsre Kraft gar oft zum Widerstande zu schwach ist. Darum bitten wir dich, vermehre sie durch Kraft aus deiner Höhe, damit uns nichts mehr überwältige, und wir nimmermehr in eine Sünde willigen, noch thun wider dein Gebot. Wenn du aber unsere Standhaftigkeit im Glauben und in der Tugend prüfen willst, so versuche uns nicht über unsere Kraft, sondern lass die Versuchung so ein Ende gewinnen, dass wir’s tragen mögen, und lass uns immer gereinigter und geläuterter aus dem Feuer der Prüfung hervorgehen. Ja, Vater, führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Uebel!

Ach Herr! die Zahl der Übel auf Erden ist groß, und der Mensch muss immer im Streite sein mit ihnen. Sorge und Kummer, Krankheit und Noth, Armuth und mancherlei Elend haben ihre Wohnung unter uns aufgeschlagen. Wohl haben wir sie vielfach verschuldet, und dürfen nicht murren gegen deine Hand, welche sie uns auferlegt, aber bitten dürfen wir dich, du mögest uns diese Lasten erleichtern, unsre Hülfe sein in den Nöthen, die uns treffen, und uns, wenn es deine Weisheit uns unsre Besserung zulässt, endlich von jedem Übel erlösen. – Das größte aller Übel aber ist die Sünde. Hilf, dass wir zuerst von ihr ganz befreit werden, dann liegt auch deine Hand nicht mehr so schwer auf uns. Und wenn du uns endlich durch den Tod von allen Uebeln des Lebens erlösen wirst: so folgen wir deinem Rufe mit glaubensvoller Zuversicht, dass wir für die Leiden dieser Zeit entschädigt werden durch die Herrlichkeit in deinem Reiche. Erhöre unser Gebet, du kannst ja alle unsere Wünsche und Bitten erfüllen,

denn dein ist ja das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.