Thomas a Kempis – Trost

Jesus, du Abglanz der ewigen Herrlichkeit, du Trost, der nach dem Himmel pilgernden Seele! Meine Zunge findet kein Wort vor dir, nur mein Schweigen redet zu dir.
Wie lange zögert mein Herr, zu mir zu kommen? Ach, daß er käme zu seinem Armen und froh machte den Traurigen! Daß er ausstreckte seine Hand und herausrisse aus all seiner Angst den Geängsteten! Komm, komm doch bald, denn ohne dich geht für mich kein Freudentag mehr auf; ohne dich schlägt keine frohe Stunde mehr für mich; denn du bist meine Freude, und leer ist ohne dich mein Tisch. Elend bin ich, wie eingekerkert und mit Ketten beladen, bis du mich mit dem Lichte deiner Gegenwart erquickst, mir die Freiheit schenkst und dein huldvolles Antlitz zeigst. Nicht werde ich schweigen noch aufhören zu flehen, bis deine Gnade wiederkommt und du zu mir in meinem Innern sprichst: Siehe, da bin ich!
Du hast mich ja zu dir erweckt, daß ich dich mit Inbrunst suchte. Gut sind deine Werke, heilig deine Gerichte. Darum sei Lob und Ruhm dir, du Weisheit des Vaters. Dich preise und beneide mein Mund, meine Seele und alles Geschaffene. Amen.

Thomas von Kempen – Nachfolge

Alle meine Wünsche, o Herr, sollen deinem Willen unterthan sein. Immerdar will ich sprechen: Herr, wenn es dir gefällt, so geschehe es also; wenn es dir zur Ehre gereicht, so laß es durch mich vollbracht werden; wenn du es heilsam findest, so laß es mich erlangen; wenn du aber siehst, daß es das Heil meiner Seele nicht fördern würde, so tilge auch das Verlangen danach aus meiner Seele!

Ich will nichts anders bitten als in wahrhaftiger Demuth, und mit vollkommner Hingebung meines Willens Alles dir anheim geben, o Vater, der du nach deiner Weisheit mir gibst wie viel du willst, und was du willst, und wann du willst.

Mache es denn immer mit mir, wie du weißt daß es mir gut ist, wie es dir gefällt und wie es dir zur größeren Ehre gereicht. Stelle mich, wohin du willst; wende mich mit deiner Hand hin und her; ich bin zu deinem Dienst beriet; ich will nicht mir leben, sondern dir, und o möchte ich dir nur vollkommen leben!

O möge deine Gnade bei mir bleiben und in mir wirken, und bis ans Ende bei mir beharren! Laß mich immer nur das verlangen und wollen, was dir gefällt, dein Wille sei der meine; mein Wollen und mein Nichtwollen sei immer nur Eins mit dem deinigen. Gieb mir, daß ich dich mehr als alles Wünschenswerthe verlange; daß ich in dir ruhe und mein Herz sich in dir allein befriedige. Du allein bist der wahre Friede und die wahre Ruhe des Herzens. In diesem Frieden, das ist in dir, dem Einen höchsten und ewigen Gut, will ich einschlafen und ruhen. Amen.

Thomas von Kempen – Bußgebet

Herr, ich will gegen mich selbst bekennen meine Ungerechtigkeit: dir, o Herr, will ich bekennen meine Schwachheit. Oft wirft mich eine kleine Veranlassung darnieder und betrübet mich. Ich nehme mir vor tapfer zu streiten, aber wenn auch nur eine erträgliche Versuchung über mich kommt, so bin ich alsbald in großer Noth. Aus dem Geringfügigsten erwächst mir oft schwere Anfechtung. Und wenn ich mich nur einigermaßen sicher glaube, während ich die Anfechtung nicht fühle, so finde ich mich bald darauf gänzlich selbst von schwachen Angriffen überwunden.

Blicke, o Herr, auf meine Niedrigkeit, und auf die Gebrechlichkeit, die dir bekannt ist. Erbarme dich mein und reiße mich aus dem Sündenschlamm, damit ich nicht gar darin untergehe und ewiglich darin verharre. Das ist es was mich oft peinigt und bestürzt macht, wenn ich vor dein Angesicht trete, daß ich so leicht wanke und so schwach bin, meinen Leidenschaften zu widerstehn. Denn ob ich wohl nicht immer in dieselben willige, so ists mir doch eine schwere Last, daß ich so von ihnen angesteckt bin, und es verdrießt mich immer so im Streite zu leben. Siehe, so groß ist meine Schwäche, daß die bösen und eiteln Gedanken wohl leichlich in mich eingehn, aber schwer sich vertreiben lassen.

O schaue doch, du starker Gott Israel, du eifriger Liebhaber der gläubigen Seele, schaue doch an die Mühe und den Schmerz deines Kindes, und stehe mir bei in allem meinen Vornehmen. Stärke mich mit Kraft aus der Höhe, damit nicht der alte Mensch, das elende Fleisch, das dem Geiste noch nicht völlig unterworfen ist, die Oberhand gewinne und behalte. Stehe mir bei im Kampfe dagegen, der mir, so lange ich in diesem elenden Leben athme, beständig obliegt, daß ich dereinst ans Ziel gelange und die Krone erringe, die du den treuen Streitern aufbehalten hast.

Thomas von Kempen

Herr, mein Gott, aller wahren Güter Fülle! wer bin ich, daß ich zu dir zu reden mich unterfange? Dein ärmster Knecht bin ich, ein Wurm und kein Mensch, weit ärmer und verwerflicher, als ich es weiß und zu bekennen wage. Dennoch, o Herr, gedenke, daß ich nichts bin, nichts habe, nichts vermag, und du allein gut bist, gerecht und heilig, allmächtig und Alles erfüllest. Nur den Sünder lässest du leer, nur zu dem Sünder gehest du nicht ein. So gedenke doch deiner Barmherzigkeit und erfülle mein Herz mit deiner Gnade, der du alle deine Werke nicht unerfüllt lassen willst. Wie kann ich mich ertragen in diesem elenden Leben, wenn deine Barmherzigkeit und Gnade mich nicht stärkt? Wende dein Angesicht nicht von mir, verzeuch nicht, dein Geschöpf heimzusuchen, nimm deinen Trost nicht von mir, daß meine Seele nicht vor dir sei wie ein dürres Land! Herr, lehre mich deinen Willen thun; lehre mich würdig und demüthig vor dir wandeln; denn du bist meine Weisheit, der du mich nach der Wahrheit kennst, und mich erkannt hast, ehe denn die Welt war und ehe ich das Licht des Lebens schaute.

Allgemeines evangelisches
Gesang- und Gebetbuch
Hamburg 1846
Agentur des Rauhen Hauses

Thomas von Kempen

Ich danke dir, Herr Gott, für alle deine Wohlthat, die du mir erzeiget hast, daß du mich geschaffen hast zu einem vernünftigen Menschen, und hast mich erlöset durch das unschuldige Blut deines lieben Sohnes, meines Herrn und Heilandes Jesu Christi, und bitte dich, lieber Vater, verleihe mir deine Gnade, dein heiliges Wort wohl zu lernen, christlich zu leben und selig zu sterben, durch Jesum Christum, deinen lieben Sohn, unsern Herrn. Amen.

Thomas von Kempen

Allgemeines evangelisches
Gesang- und Gebetbuch
Hamburg 1846
Agentur des Rauhen Hauses

Thomas von Kempen – Ein Gebet des Demüthigen, aus tiefem Gefühle des eigenen Unwerthes

Mein Herr, was ist der Mensch, daß Du sein gedenkst, oder ein Menschensohn, daß Du ihn heimsuchest? Wie hätte der Mensch je verdienen können, daß Du ihm Deine Huld angedeihen ließest? Wie könnt‘ ich klagen, wenn Du mir Deine Huld entzögest? Was dürfte ich mit Grunde dagegen einwenden, wenn Du meine Bitten nicht erhörtest? Wahrhaftig, dies Eine kann und darf ich mit aller Wahrheit denken und sagen: Aus mir allein und ohne Dich, bin ich nichts, und vermag ich nichts und habe nichts Gutes an mir; aus mir allein, und ohne Dich bin ich brechlich und ohnmächtig zum Guten, und strebe immer nach dem, was nichts ist: und, wenn Deine Macht mich nicht unterstützet, Dein Licht mich nicht im Innern erleuchtet, so werde ich noch ganz lau und zuchtlos. Dank Dir für alles Gute, das ich zu Stande bringe, denn alles Gute kommet von Dir! Ich bin aus mir und vor Dir – eitel Nichts, ein Mensch unstät und schwach. Was habe ich nun für Grund und Recht, von mir selbst groß zu sprechen, oder andere von mir große sprechen zu lassen? Vielleicht – weil ich aus mir, Nichts bin? Ein Ruhm – auf Nichts gebaut – wäre doch unter allem, was eitel ist, das Eitelste. O, die eitele Ehre, sie ist wahrhaftig, die erste Eitelkeit, und eine Seelenpest, die alles Gute tödtet; denn sie entblößt uns von der Gnade des Himmels, und raubt uns das Kleinod der wahren, innern Herrlichkeit. Denn, sobald der Mensch an sich selbst sein Wohlgefallen findet, hast Du Mißfallen an ihm. Und, wenn er dem Lobe der Menschen nacheilet, so verliert er darüber den wahren Werth, den ihm nur die wahre Tugend verschaffen kann.

Thomas von Kempen – Sterbegebet

Komm, Herr Jesu, und nimm mich hinweg aus dem fremden Lande, hole mich ins Vaterland und bringe mich in das verlorne Paradies zurück. Komm, mein Erlöser, und laß mich Theil nehmen an Deiner ewigen Herrlichkeit. Zeit ist es, daß ich zu Dir gelange, Zeit, daß Du meinen Leib der Erde schenkst, von der er genommen ist. Ich sorge nicht sehr, wo man ihn hinlegen und wie man ihn behandeln mag; wenn nur der Geist wohlbehalten zu Dir kommt. Herr, in Deine Hände befehle ich meinen Geist; mein Fleisch mag in Hoffnung ruhen, bis Du es am jüngsten Tage erwecken wirst. O erwünschter Tag, o gesegnete Stunde, da ich Dein Antlitz schauen soll! O Sohn Gottes, der Du mich durch Dein heiliges Blut erlöset hast, nimm mich nun auf in Dein Reich; denn es verlangt mich herzlich, mit Dir Ostern zu feiern!

Thomas von Kempen – Abendmahl

Du befiehlst, o Herr, daß ich mich zuversichtlich Dir nahen soll, wenn ich an Dir Theil haben, wenn ich die Speise der Unsterblichkeit empfangen will. Kommet her zu mir, sprichst Du, Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. O süßes und liebliches Wort, mit dem Du die armen und bedürftigen Sünder zum Genusse Deines Leibes und Blutes einladest! Aber wer bin ich doch, o Herr, daß ich mich unterstehen darf, Dir zu nahen? Siehe, der Himmel Himmel fassen Dich nicht; wie kann ich Dich unter mein Dach treten lassen? Ach, und wie oft habe ich Dein heiliges Antlitz verletzt, wie selten bin ich gesammelt, wie oft zerstreut gewesen! Aber dennoch sprichst Du so freundlich: Kommet her zu mir Alle! und ich glaube Deiner Verheißung, weil Du es sprichst. Hier in Deinem heiligen Sacramente bist Du gegenwärtig, wahrer Gott und wahrer Mensch; hier empfängt man eine reiche Frucht des ewigen Lebens, so oft man in Andacht und Glauben hinzutritt. O Herr, wie wunderbar handelst Du mit Deinen Auserwählten, daß Du Dich selber ihnen zu genießen giebst! In diesem Sacramente wird geistliche Gnade gespendet und die Seele zur Tugend gestärkt; ja selbst der schwache Leib fühlt sich darnach erfrischt und erquickt. Darum sage ich Dir Dank, lieber Heiland, ewiger Hirt, daß Du uns Arme einer so großen Gabe gewürdigt und mit Deinem eignen Munde uns so freundlich zu Dir geladen hast, da Du sprichst: Kommet her zu mir, Alle, die ihr müh. selig und beladen seid, ich will euch erquicken.

Thomas von Kempen – Sehnsucht nach Gott

O mein theuerster Herr Jesus Christus, wer giebt mir Schwingen wahrer Freiheit, daß ich auffliegen und in Dir Ruhe finden kann? Wann werde ich doch voll empfinden, wie freundlich Du bist, mein Gott? Wann werde ich mich ganz in Dir sammeln und vor Liebe zu Dir nichts mehr von mir fühlen? Ach, viel Elend stoßt mir in diesem Jammerthale zu, das mich oft verwirrt, trübt und umwölkt; das mich oft hindert und zerstreut, fortreißt und verstrickt, und nicht frei zu Deinen Liebesarmen kommen läßt, die immerdar den seligen Geistern offen stehen. Laß Dich mein Seufzen und die vielfache Qual meiner Verlassenheit auf Erden rühren, Du Glanz der väterlichen Herrlichkeit, Trost der pilgernden Seele. Vor Dir ist mein Mund, auch wenn ich nicht rede, und auch mein Schweigen spricht zu Dir. Wie lange zögert mein Herr, zu mir zu kommen? Ach, daß er doch zu mir Aermsten käme und mich fröhlich machte; daß er doch seine Hand ausstreckte und mich Elenden aller Bedrängniß entrisse! Komm, komm; ohne dich kann ich keinen heitern Tag, keine heitere Stunde finden. Mögen Andere suchen statt Deiner, was sie wollen; mir gefällt nichts Anderes und soll Nichts gefallen, als Du, mein Gott, meine Hoffnung, mein ewiges Heil. Ich werde nicht schweigen, nicht zu bitten aufhören, bis Deine Gnade mir wieder leuchtet, bis Du innerlich zu mir sprichst: Siehe, da bin ich, bei Dir bin ich, weil Du mich gerufen hast!

Thomas von Kempen – Schöpfung

Ich preise Dich, Vater und Herr Himmels und der Erden, der Du Alles aus Nichts geschaffen hast durch Deinen eingebornen Sohn im heiligen Geiste. Auf Dein Wort giebt der Himmel Regen zur rechten Zeit und die Erde reichliche Früchte. Sonne und Mond erleuchten die Welt und die Sterne kreisen in geordneten nächtlichen Bahnen. Quellen sprudeln, Flüsse strömen, Fische aller Art schwimmen in den Gewässern. Es fliegen und singen die Vögel unter dem Himmel, es hüpfen auf den Bergen die Rehe und Hirsche; es freut sich das Vieh auf den fetten Triften. Die Wiesen grünen, die Felder blühen, alle Bäume des Waldes sprossen und tragen Früchte. Das sind Deine Werke, o Gott, der Du allein große Wunder thust.