Anselm von Canterbury – Trost

O Du Liebe der Gottheit, heilige Gemeinschaft des allmächtigen Vaters und Sohnes, allmächtiger heiliger Geist, der Du bist ein erbarmungsvoller Tröster der Trauernden, senke Dich in das Innerste meines Herzens kräftiglich, erhelle alle ungesehenen dunkeln Gründe mit dem Glanze Deines Lichtes und, was welk ist durch lange Dürre, befeuchte mit der Fülle Deines Thaues. Tränke mich mit dem Strome Deiner Lust, daß ich kein Verlangen mehr nach dem versüßten Gift weltlicher Freuden empfinde. Richte mich Herr und scheide meine Sache von dem unheiligen Volke; lehre mich thun nach Deinem Wohlgefallen, denn Du bist mein Gott. Ich glaube: bei wem Du einkehrst, den machst Du zu einer Wohnung des Vaters wie des Sohnes. So komm denn, komm, gnädigster Tröster der trauernden Seele, der Du im Glücke sie wahrest und in der Noth ihr Beistand bist, der Du von Missethaten reinigest und Wunden heilest. Komm, Du Lehrer der Demüthigen und Vertilger der Hoffartigen. Komm, Du erbarmungsvoller Vater der Weisen und der Wittwen milder Richter. Komm, Du Hoffnung der Armen und Du Labung der Matten. Komm, Du Stern auf dem Meere, Du Hafen im Schiffbruch. Komm, aller Lebendigen herrlicher Schmuck, aller Sterbenden einziges Heil. Komm, heiliger Geist, komm und erbarme Dich meiner, bereite mich Dir zu und laß Dich in Gnaden zu mir herab; so daß Deiner Große meine Niedrigkeit und Deiner Stärke meine Schwachheit nach dem Reichthum Deines Erbarmens gefallen möge durch Jesum Christum, meinen Heiland, welcher mit dem Vater in Deiner Einheit lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

Anselm von Canterbury – Jesu Tod

Was hast Du verbrochen, theuerster Gottessohn, daß Du also gerichtet wardst? Was war die Ursache Deines Todes, was der Grund Deiner Verdammung? Ich, ich bin die Geißel Deines Schmerzes, ich habe Dich ans Kreuz gebracht mit allen seinen Qualen. O über den wunderbaren Rechtsspruch und geheimnißvollen Rathschluß! Es sündigt der Gottlose, und bestraft wird der Gerechte; was der Böse verdient, leidet der Gute; was der Knecht verschuldet, bezahlt der Herr; was der Mensch begeht, nimmt Gott auf sich. Wie tief, o Gottessohn, hat sich Deine Demuth herabgelassen! Wie herrliche Gnade, wie hohe Güte, wie innige Liebe, wie großes Mitleid hast Du gezeigt! Ich thue Uebels, Du trägst die Strafe; ich bin stolz, Du erniedrigest Dich; ich bin unmäßig, Du leidest Hunger; ich suche nach Vergnügen, Du läßt Dich mit Nägeln durchbohren; ich koste die Süßigkeit des Apfels, Du die Bitterkeit der Galle. Mit mir lacht und freuet sich Eva; mit Dir weint und leidet Maria.

Anselm von Canterbury – Größe Gottes

Du, o Herr, bist nicht blos das Größte, was gedacht werden, sondern größer, als man denken kann. Du wohnst in einem unzugänglichen Lichte. Das sehe ich nicht, weil es mir zu groß ist, und doch sehe ich Alles, was ich sehe, nur durch dasselbe, gleichwie das schwache Auge, was es sieht, nur im Scheine der Sonne sieht. In Deine Ursonne kann mein Verstand nicht hineindringen, ihre Strahlen leuchten zu stark. Zurückgeworfen werde ich von dem Glanze, überwältigt von der Größe, verwirrt durch die Unermeßlichkeit. O höchstes Licht, o volle und selige Wahrheit, weit bist Du von mir, und doch bin ich Dir so nahe: wie entfernt bist Du von meinem Blicke, und doch bin ich Dir so gegenwärtig!