Aurelius Augustinus

Herr Gott, himmlischer Vater, über alle deine Güte, welche du mir armen Sünder erzeiget hast, erkenne ich auch darin deine große Gnade, daß du dem leidigen Satan, meinem und aller Menschen Erbfeind, bis auf diese Stund nicht gestattet hast, sich verderblich an mich zu machen. Am bösen Willen hats ihm nicht gefehlt, aber du, Herr, hast mich behütet, daß ich in sein böses und listiges Eingeben nicht gewilliget habe. Er ist oft mit schwarzen, trüben Wolken, mit Kreuz und Trübsal über mir hergegangen, aber du, Herr, hast mich getröstet und gestärket, daß ich sein Ungewitter und Stürmen nicht geachtet, und daß er mir auch nie etwas hat anhaben können. Er hat sich in einen Engel des Lichts verwandelt und mit Betrug, List und Lügen an mich gesetzt; daß er aber nichts an mir erhalten, hast du mich erleuchtet und begnadigt, seinen Betrug zu erkennen und zu meiden. Herr, für diese deine große Güte und Gnade sage ich dir herzlich Dank und bitte dich, du wollest ferner, wie du in großen Gnaden angefangen hast, mich vor diesem Erbfeind, Drachen und Ungeheuer behüten und bewahren und bis an mein Ende unter deinen Flügeln beschützen, daß ich, von dir erhalten, dich in Ewigkeit lobe und preise. Amen!

Anselm von Canterbury

Wehe mir, o Herr! wehe meiner Seele! Du mein Tröster bist geschieden und hast nicht Lebewohl gesagt. Da Du Deinen Weg antratest, segnetest Du die Deinen, aber ich bin nicht dabei gewesen. Die Hände ausbreitend, wurdest Du von der Wolke in den Himmel aufgenommen, aber ich habe es nicht gesehen. Die Engel kündigten Deine Wiederkunft an, aber ich habe es nicht gehört. Was soll ich sagen? Was soll ich thun? Wo soll ich hingehen? Wo soll ich ihn suchen? Wann werde ich ihn finden? Wer wird dem Geliebten sagen, wie sehr ich vor Liebe nach ihm schmachte? Verschwunden ist die Freude meines Herzens, verwandelt in Trauer meine Fröhlichkeit. Meine Seele will sich durch Nichts trösten lassen, als von Dir, o Herr, meine Wonne. Was giebt es für mich im Himmel und auf Erden außer Dir? Dich will ich, auf Dich hoffe ich, Dich suche ich, zu Dir hat mein Herz gesprochen: Mein Antlitz hat Dich gesucht, Dein Antlitz will ich suchen. O gütigster Freund der Menschen, Dir ist der Arme überlassen, Du wirst dem Verwaisten ein Helfer sein. Blicke herab auf die Thränen meiner Verlassenheit, die ich Dir darbringe, bis Du wiederkehrest. O mein Herr, erscheine mir, und ich werde getröstet sein, zeige Deine Gegenwart, und meine Sehnsucht wird gestillt sein, enthülle Deine Herrlichkeit, und meine Freude wird vollkommen sein. Es dürstet nach Dir meine Seele und mein Fleisch. Es dürstet meine Seele nach Gott, der lebendigen Quelle; wann werde ich kommen und vor dem Angesichte des Herrn erscheinen? Wann wirst Du kommen, mein Tröster? O wenn ich meine Freude sehen werde, nach der mich verlangt! O wenn ich werde satt werden, wenn mein Heil erscheint, nach dem ich hungere! O wenn ich werde berauscht werden von der Fülle des Hauses, wonach ich dürste! Thränen sollen, o Herr, mein Brod Tag und Nacht sein, bis zu mir gesprochen wird: Siehe, dein Gott! bis meine Seele hort: Siehe, dein Bräutigam! O er wird vielleicht bald kommen, mein Erlöser, weil er gütig ist, er wird nicht zögern, weil er gnädig ist. Ihm sei Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! —- Denke dir, du sähest ein tiefes, dunkles Thal, das allen Jammer in sich faßte. Darüber führte eine lange, blos einen Fuß breite Brücke. Müßte nun jemand über diese schmale, hohe und gefährliche Brücke gehen, dem die Augen verschlossen, daß er seine Tritte nicht zu sehen vermöchte, dem die Hände gebunden wären, daß er keinen Stab zum Fühlen gebrauchen könnte, würde der wohl noch lachen und scherzen? Würde der nicht vielmehr vor Furcht und Schrecken erzittern und erbeben? Denke dir, daß noch Ungestalten von Raubvögeln um die Brücke herumschwärmten, geschäftig, den Wanderer in die Tiefe hinabzureißen; denke dir endlich, daß bei jedem seiner Schritte die einzelnen Bretter sofort hinter ihm weggezogen würden! Und nun höre, was das Gleichniß sagen will. Unter dem tiefen und dunkeln Thal ist die Hölle zu verstehen. Alles, was schmeichelt, findet man nicht da, und alles, was schreckt, peinigt, ängstet, findet man da. Die gefahrvolle Brücke ist das gegenwärtige Leben; wer es übel benutzt, sinkt zur Hölle hinab. Die Bretter, welche hinter dem Wanderer weggezogen werden, sind die nie wiederkehrenden Tage seines Lebens, deren beständige Abnahme ihn immer mit Eil zum Ende hindrängt. Der Vogelschwarm ist die Schaar böser Geister. Wir selbst sind die Wanderer, blind von Thorheit und mit Untüchtigkeit zur Tugend wie mit einer schweren Kette gebunden. Nun bedenke, ob wir nicht in solcher Gefahr zum Schöpfer um Hilfe schreien müssen.

unbekannt – Abendgebet

O Herr, allmächtiger Gott, du sprichst: So du durchs Wasser gehest, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen. Wir bitten dich herzlich, sei auch bei uns in dieser finsteren Nacht, und bewahre uns, daß uns und unserem Schifflein kein Leid noch Unglück widerfahre; dir befehlen wir uns heut und allezeit mit Leib und Seel in deinen väterlichen Schutz und Schirm, sei uns gnädig und behüte uns um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen. Amen.

Martin Luther

Christe, unser lieber Herr und Heiland, sei uns gnädig, daß wir nicht in Anfechtung fallen; sondern erhalte uns rein, unsträflich, einfältig, im rechten Glauben, und erlöse uns von allem Uebel durch einen seligen Abschied von diesem Jammerthal, das ist, aus dem Reiche des leidigen Teufels und seiner Welt. Dir sei Lob und Dank, mit dem Vater und Heiligen Geist, in Ewigkeit. Amen.

Andreas Musculus – Bewahrung

Du frommer getreuer Gott und Vater unsers lieben Herrn Jesu Christi, dich bitte ich von Herzen, du wollest mich in meiner Noth nicht verlassen, sondern mit dem Licht deines wahren Erkenntnisses erleuchten, daß ich in demselbigen aus dieser Finsterniß zu dir, dem ewigen Licht, möge wandeln. O Herr, sei du bei mir, wenn ich sterben soll, stehe du zu meiner rechten Hand, wenn ich soll meinen Geist aufgeben, errette mich aus der Hand des Feindes, tröste und stärke mich, erhalte mich in deiner Erkenntniß und festem starkem Vertrauen auf deine große Gnade und Barmherzigkeit. Ach Herr Gott, laß das letzte Wort deines lieben Sohnes am Stamme des Kreuzes auch mein letztes Wort sein, daß ich mit starkem und gläubigem Vertrauen in dem Herzen darf sagen: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, denn du hast mich erlöset, du getreuer Gott. Im Fall aber, da ich aus Schwachheit und Größe meiner Krankheit solches mit dem Munde nicht könnte ausreden, so laß doch mein Herz also in der Stille zu dir rufen und seufzen. Amen.
*Andreas Musculus*

Gebetbuch,
enthaltend
die sämmtlichen Gebete und Seufzer
Dr. Martin Luther’S,
wie auch Gebete
von
Melanchthon, Bugenhaben, Matthesius, Habermann, Arnd
und anderen Gott-erleuchteten Männern.
Herausgegeben
vom
evangelischen Bücherverein
Berlin, 1849.
Im Magazin des Vereins, Klosterstraße No. 71

Cyprian – Bewahrung

Herr Jesu Christe, du heiliger und getreuer Priester, der du in der Zeit des Zorns bist worden unsere Versöhnung, der du den Brunnquell deines heiligen Bluts uns armen Sündern auf Erden gelassen, verleihe uns deine Gnade, daß wir mit allen deinen lieben Heiligen begreifen mögen das große Werk, das du am Stamme des Kreuzes vollbracht hast, auf daß, so wir das ansehen, uns die giftige Schlange der Wüste nicht schade, sondern daß wir ohne alle Verletzung dir zur ewigen Herrlichkeit nachfolgen. Amen.

Allgemeines evangelisches
Gesang- und Gebetbuch
Hamburg 1846
Agentur des Rauhen Hauses

Johann Mathesius – Von Simeon und Hanna

Ewiger Vater, der Du Dir einen heiligen Samen unter Herode erhalten, und Deine Diener Simeon und Hanna bei dem rechten Glauben hast bewahrt, da das Land voller Secten, Krieg und Empörung war. Wir bitten Deine Güte, Du wollest uns in dieser argen Welt im Glauben, Fried und gutem Gewissen erhalten, damit wir uns in der Welt Hader nicht mengen, sondern der himmlischen Erlösung in wahrer Anrufung, Geduld und Unterthänigkeit warten, durch Jesum Christum, den ewigen Erlöser und unsern geistlichen Herrn.

Magnus Friedrich Roos – Dienstag. Morgengebet.

Dienstag. Morgengebet.

Wir danken Dir, heiliger Gott, barmherziger Vater, daß Du uns in der vergangenen Nacht gnädiglich behütet, und vieles Uebel, das uns hätte begegnen können, gnädiglich von uns abgewendet hast. Wir nahen nun an diesem Morgen zu Dir, und weil wir unsere Sorgen auf Dich werfen sollen, und Du für uns sorgen willst, so bitten wir Dich im Namen Deines Sohnes Jesu Christi, daß Du auch heute nach unserem leiblichen und geistlichen Bedürfniß für uns sorgen, uns unser tägliches Brod bescheren, und uns durch Deinen Heiligen Geist tüchtig machen wollest, heute vor Dir zu wandeln, und Dir treulich und weislich zu dienen. Weil auch ein jeder Tag seine Plage hat, so stärke uns, daß wir diese Plage geduldig ertragen können, und schaffe, daß uns das Uebel nicht bekümmere, und in einen finstern Unglauben hinein treibe. Du hast alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Du herrschest auf Deinem Thron über Alles. Jetzt sehen wir zwar noch nicht, daß Dir Alles unterthan sei, wir glauben es aber doch, und sind durch Dein Wort vergewissert, daß kein Sperling und kein Haar ohne Deinen Willen auf die Erde falle. Wir empfehlen und überlassen uns also Deiner treuen und mächtigen Regierung, und bitten Dich, daß Du unsern Glauben stärken, und uns auch alsdann beruhigen wollest, wenn Du den bösen Geistern und Menschen Vieles zulässest, und unsere Gedanken und Anschläge von Dir zunichte gemacht werden. Dein Wille geschehe heute an uns und von uns, und Deine gnädige Vorsorge wende alles Schädliche von uns ab. Erhalte uns bei dem Einigen, daß wir Deinen Namen fürchten, sei uns gnädig, vergib uns unsere Sünden, und mache uns tüchtig, das himmlische Erbe mit Allen, die geheiligt werden, durch den Glauben an Dich zu empfahen. Amen.

Ich bete Dich als Unterthan,
Du starker Gott und König, an.
Hilf, schütze, segne, sorge Du,
Und schließ mein Herz den Sorgen zu.
Amen.

Calvin Jean – Bewahrung

Mit deinem Urteil, o allmächtiger Gott, stehen und fallen wir. Gib, daß wir uns unserer Schwachheit und Ohnmacht bewußt sind. Laß uns immerdar bedenken, daß unser Leben wie ein Schatten ist, ja, daß wir nichts sind ganz und gar. Laß uns lernen, in dir allein zu ruhen und von dir allein und deinem Wohlgefallen abhängig zu sein. In deiner Hand liegt es, das Werk unseres Heils anzufangen und zu vollenden. Da gib, o Gott, daß wir uns mit Furcht und Zittern dir unterwerfen und deiner Berufung auch fernerhin folgen. Verleihe, daß wir dich stets anrufen und alle unsere Sorge auf dich werfen, bis wir endlich allen Gefahren entronnen sind und zu jener ewigen seligen Ruhe kommen, die uns erworben ist durch das Blut deines eingeborenen Sohnes.

Calvin, Jean – Aufsehen auf Gott

Das Licht der Sonne und des Mondes dürfen wir schauen bei Tag und Nacht, Da gib, o allmächtiger Gott, daß wir lernen unsere Augen noch höher zu erheben. Laß uns nicht den Ungläubigen gleich werden, denen auch Sonne und Mond scheinen. Laß uns schauen auf das Ziel unserer Hoffnung, unser ewiges Heil, in der Gewißheit, daß dieses Heil uns ebensowenig erschüttert werden kann wie deine Treue, deren Unwandelbarkeit du uns sehen läßt an Sonne und Mond, deinen Schöpfungen. Laß uns schauen auf jenes Heil, das sich gründet auf deine unerschütterliche Wahrhaftigkeit und eine Gewißheit schenkt, die alle Dinge umfaßt, bis wir endlich in jenes selige Reich kommen, das uns erworben ist durch das Blut deines eingeborenen Sohnes.